Herzlich Willkommen in Deutschland! Oder doch nicht?
Die Gitter, vor denen wir stehen, fühlen sie kalt an, obwohl wir sie nicht berühren. Es liegt eine Kälte in der Luft, obwohl es an diesem Dienstagmorgen 27 Grad sind. Ich schaue ihn von der Seite an, doch er starrt nur ins Leere. Er spricht meine Sprache nicht und ich nicht seine. Der einzige Weg, um miteinander zu sprechen, ist das Handy mit Übersetzerfunktion. Doch eigentlich gibt es nicht besonders viel zu sagen. Wir stehen und warten. Kein normaler Mensch würde den Wunsch äußern, hinter diese Gitter zu wollen, doch bei uns ist es anders. Hinter diesen Gittern liegt die Existenz vieler Menschen, vieler Kinder, Mütter, Väter, gesamten Familien. Hinter uns reihen sich viele Menschen ein, deren Sprache ich nicht verstehe. Ich versteh kein einziges Wort, doch ich kann die Stimmung wahrnehmen, die hier herrscht. Ich spüre die Verzweiflung, die Wut, die Angst und alles, was dazu gehört. Sie hüllt mich ein wie die warme Morgensonne. Wir sehen eine Tür, die sich öffnet und Männer in Sicherheitskleidung aus einem Gebäude hinter dem Gitter kommen. Sie unterscheiden sich von allen anderen nur durch ihre Uniform, den Schlagstöcken und dem Pfefferspray, dass sie an ihrem Halfter tragen. Sonst gibt es keinen Unterschied.
A. schaut mich an, während ich versuche hinter seiner Verzweiflung, die er sich ins Gesicht tätowiert hat, noch irgendetwas anderes zu sehen. Doch da ist nichts anderes, außer vielleicht Angst. Wahrscheinlich wird er die auch nicht mehr los, denke ich mir still und leise, während sich langsam das Gitter öffnet. Wir haben lange auf diesen Moment gewartet. Nur ein kleines Zeitfenster von wenigen Minuten lies uns hoffen, hier her kommen zu können. Wir werden aufgerufen und A. muss seinen Ausweis vorzeigen bzw. seine Gestattung. Dann gibt es eine Taschenkontrolle mit einem Metalldetektor. Ich brauche meinen Ausweis nicht vorzeigen, denn ich bin Deutscher, zumindest sehe ich so aus. Auch muss ich mich keiner würdelosen Sicherheitskontrolle unterziehen, denn ich trage keine Waffe. »Nur Flüchtlinge tragen Waffen«, höre ich in meiner Fantasie einen der Sicherheitsmänner sagen.
Wir werden das Gitter entlang geführt über einen Hof. Vor und hinter uns sind einige Sicherheitsmänner. Ich frage mich, wohin man von hier aus wohl hinlaufen sollte. Überall sind Menschen wie A. Sie haben alle irgendetwas ins Gesicht tätowiert. Ich glaube fest daran, dass niemand von ihnen hierhergekommen wäre, wenn er gewusst hätte, wie es hier um sie steht. Jetzt sind sie hier aber irgendwie auch doch nicht. Eigentlich existieren sie gar nicht, zumindest kommt es mir in diesem Moment so vor und irgendwie fühlt es sich auch so
an. Als nächstes durchstreifen wir ein Gebäude, immer gut bewacht von den Männern und ihren Knüppeln. Überall sitzen Leute und warten. Wahrscheinlich haben niemals Menschen länger gewartet als dort.
Irgendwann sitzen wir dann in einem Büro an einem Schreibtisch, vor einer riesigen
Glasscheibe. Corona ist schon lange vorbei, doch sicher ist sicher, versuche ich mir
einzureden. Dann folgt der große Auftritt: Eine Frau fragt uns, was wir möchten. A. versteht
nichts von dem, was die Frau sagt. Es ist kein Dolmetscher da, was die Frau auch nicht
besonders zu interessieren scheint. Sie schaut A. ohnehin nicht an, sondern spricht
ausschließlich mit mir. Ich erkläre der Frau hinter der Scheibe, dass A. keine Leistungen
bekommt. Die Frau pampt mich an und erklärt mir Dinge, die ich schon lange vor ihr wusste.
Ich lege ihr Dokumente vor, die belegen, dass A. bereits vor zwei Monaten einen Antrag auf
Leistungen gestellt hat, alle Unterlagen bereits vorlägen und wir nur da wären, um zu
erfragen, weshalb keine Leistungen ausgezahlt werden. Sie schaut ungläubig auf die
Dokumente, dann in ihren Computer. »Es gibt Probleme mit der Antragstellung« teilt sie uns
mit. Mehr könne sie nicht sagen, da den Fall ein anderer Sachbearbeiter bearbeitet. Den
Namen können man uns aus Datenschutzgründen auch nicht sagen. Ihren Namen möchte sie
uns allerdings auch nicht sagen. Ich frage sie, was wir nun tun sollen. Sie teilte mir mit, wir
sollen einen neuen Antrag ausfüllen, eine neue Checkliste und alles per Mail einreichen.
Geld würde man allerdings erst ab Eingang rückwirkend zahlen. Ich stelle noch mal klar, dass
wir eine Bescheinigung von der Behöre haben, die uns bestätigt, dass wir einen Antrag
bereits gestellt haben. Sie teilt mir erneut mit, dass sie nichts machen könne und es
weiterleite.
A. sitzt nur daneben und schaut ins Leere. Er scheint zu wissen, dass dieses Land für ihn nicht
viel übrig zu haben scheint. Meine Versuche, mehr erreichen zu wollen, scheitern kläglich.
Wir werden wieder rausbegleitet, natürlich von einem netten Herren mit Knüppel. Ich spiele
A. vor, dass wir wieder einen Schritt weitergekommen sind und lasse mir die Unterlagen von
ihm unterschreiben, damit ich sie später erneut hinschicken kann. Er kehrt in seine
Wohnunterkunft zurück, wo er sich mit alten Männern ein Zimmer teilt. Ich entlasse ihn
wieder in die Angst, dort, wo er hergekommen ist. Mehrere Mails an das Amt für Migration
in Hamburg Rahlstedt am Barkoppelstieg scheitern. Ich werde nachfolgend mehrfach darauf
verwiesen, Unterlagen einzureichen, die bereits vor Wochen eingereicht worden - doch
darauf reagiert niemand. Es gäbe Probleme bei der Bearbeitung, doch welche genau, bleibt unklar. Auch unklar bleibt die Zuständigkeit. Genauso unklar wie der Verbleib von A., der trotz Unterstützung wie viele andere weiterhin unter unmenschlichen Bedingungen weiterleben muss. Was Deutschland allerdings zeitnah hinbekommen hat war, ihn über eine mögliche Abschiebdung aufzuklären. Gratulation Deutschland! Während wir ohne Wasser durch die Wüste der Migrationspolitik wandern, wünsche ich mir all jene Menschen herbei, die predigen, geflüchtete Menschen würden ihnen den Wohlstand rauben, während sie mit der Stopfmaschine bewaffnet vor dem Fernseher sitzen und Britt schauen. Wie schön wäre ein verpflichtendes freiwilliges soziales Jahr für diese Menschen im Ankunftszentrum Rahlstedt. Menschlichkeit kann so einfach sein ...
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